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Christoph Pammer

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Tötet Sparpolitik Steirer/innen? Eine Gesundheitsfolgenabschätzung der Wohnunterstützung.

06.12.2016

Die Gesundheitspolitik verfolgt derzeit österreichweit das Ziel, negative gesundheitliche Auswirkungen von politischen Entscheidungen und Regelungen zu reduzieren und zu vermeiden. Auch das Land Steiermark bekennt sich zu diesem Ansatz und möchte in ausgewählten Bereichen Gesundheitsfolgenabschätzungen einführen. Eine solche wäre dringend anzuraten, drohen doch höhere Suizidraten sowie höhere Sterblichkeitsraten insgesamt, wenn die Wohnunterstützung wie geplant umgesetzt wird.

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Im Juli 2016 war zuerst nur davon die Rede, dass die steirische Wohnbeihilfe in eine „Wohnunterstützung“ umgewandelt werde, im Rahmen eines Sozialpakets der Landesregierung.  Und dass davon nur Studierende betroffen sein werden, und sogar nur solche, die in einem Einpersonenhaushalt leben. Aber Anfang September, als das Gesetz in Kraft tritt, ist bereits klar, dass es um drastische Reduktionen geht, und vielen Bezieher/innen Kürzungen um bis zu 90 % ins Haus stehen. Unter ihnen sind viele armutsgefährdete Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel alleinerziehende Mütter, kinderlose Paare und Bezieher/innen einer Mindestpension – diese Gruppen wären verstärkt von der Reduktion der Wohnbeihilfe von derzeit zwischen 130 und  170 EURO auf monatlich 14 bis 17 EURO Wohnunterstützung betroffen. Und das, obwohl die durchschnittlichen Wohnungskosten in den letzten Jahren drei Mal so stark wie die nominellen Löhne und Gehälter angestiegen sind, und die Ausgaben des Landes für die Wohnbeihilfe eh schon von 73 Mio. EURO im Jahr 2009 auf 46 Mio. EURO reduziert wurden. Es steht daher im Raum, dass es sich um unmenschliche Sparpolitik mit ernst zu nehmenden Konsequenzen handelt.

Health Impact Assessments bewerten die Auswirkungen konkreter Politikinhalte und Entscheidungen auf die Gesundheit, in dem sie aktuelle epidemiologische Erkenntnisse einbeziehen und betroffene Gruppen beteiligen. Der Vorschlag für eine Gesundheitsfolgenabschätzung scheint nicht völlig aus der Luft gegriffen:

Zuerst zeigten das die Auswertungen von Sterblichkeitsdaten und die Entwicklung von Suizidraten in jenen europäischen Ländern (Portugal, Spanien, Griechenland, Italien, Irland), die auf die sogenannte Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 mit einer überzogenen Sparpolitik für öffentliche Haushalte begegneten. Nicht die Wirtschaftskrise allein war die Ursache für die vermehrten Todesfälle. Eine erhebliche Anzahl von neu hinzugekommenen Selbsttötungen war dort entstanden, wo die Ausdünnung von Sozialleistungen forciert wurde. Von den gesundheitlichen Auswirkungen der übertriebenen Sparpolitik waren vor allem Männer betroffen. Die Forschergruppe errechnete, dass durch eine Reduktion staatlicher Leistungen um 1% die Suizidalität von Männern im Alter von 65 bis 89 Jahren um 1,4 % kurzfristig ansteigt, mittel- und langfristig sind bereits Steigerungen von  2,4% und 3,3 % zu erwarten.[1]

Daraufhin nahm sich eine Gruppe um den renommierten englischen Epidemiologen Martin McKee der Fragestellung an. Untersucht wurde, um welchen Anteil die Sterblichkeit von älteren Menschen steigt, wenn ihr Einkommen wie etwa durch Pensionskürzungen spürbar kleiner wird.[2] Die Reduktion der Pensionszahlungen um 1% erhöhte die Sterblichkeit der über 85jährigen Bevölkerung um 0,7 %.

Eines ist klar: Kürzungen des Haushaltseinkommens in der Höhe von 100 bis 150 EURO pro Monat können viele Familien in der Armutszone an ernst zu nehmende Grenzen führen. Dann wird halt wieder mehr beim Essen zu sparen sein müssen, wahlweise beim Heizen. Oder bei notwendigen Ausgaben für Kinder. Aber auch die von Armut nicht akut bedrohten Wohnunterstützungs-Bezieher/innen werden ihre Konsumausgaben verschieben (müssen).Besondere Sorge ist nicht nur für Kinder, sondern auch für jene zu tragen, die an einer oder mehreren chronischen Erkrankungen leiden und hohe Selbstbehalte für Medikamente, Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte zahlen. Egal, ob nun bei Nahrungsmitteln, einer warmen Wohnung oder einem notwendigen Arztbesuch gespart wird – die gesundheitlichen Folgen wiegen schwer.

Auch wenn die Entscheidung zur Reduktion der Wohnbeihilfe bereits getroffen worden ist, ginge es zumindest um Schadensbegrenzung. Also darum, die absehbaren gesundheitlichen Auswirkungen durch Begleitmaßnahmen abzuschwächen. Zumal die von den Einsparungen betroffenen Gruppen ohnehin von erheblich höheren Krankheitsrisiken als der Durchschnitt der Bevölkerung heimgesucht werden. Für ausgewählte Bezieher/innen einer Mindestpension soll die erst neu eingeführte Wohnunterstützung ja bereits novelliert werden, weil bei den Finanzausgleichsverhandlungen vom Bund beschossen wurde, die Mindestpension für jene, die mehr als 30 Jahre lang gearbeitet haben, um 150 EURO zu erhöhen.

Bereits die ersten Erfahrungen bei der Umsetzung und der Druck von Aktionsgruppen haben zur Einrichtung eines Unterstützungsfonds geführt. Weil niemand so genau weiß, wie sich die Abschaffung der Wohnbeihilfe auf die Haushalte auswirkt. Die Stellung der Unterstützten hat sich bereits massiv verschlechtert: Sie werden zu Bittstellern degradiert. Durch Nachverhandlungen wird die Maßnahme wohl noch leicht abgeschwächt werden. Wichtig ist, dass bei einer allfälligen Evaluierung der Wohnunterstützung auch auf gesundheitliche Folgen geachtet wird.

 


[2] Loopstra R, McKee M, Katikireddi SV, Taylor-Robinson B et al. (2016): Austerity andold-age mortality in England: a longitudinal cross-local area analysis, 2007–2013. Journal of the Royal Society of Medicine; Vol. 109(3) 109–116


[1] Antonakakis N, Collins A (2015): The impact of fiscal austerity on suicide mortality: Evidence across the ‘Eurozone periphery’. Social Science & Medicine 145; 63-78.

 

 

 

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