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Alkoholkonsum: insgesamt zurechenbare Krebsinizidenz (nach Geschlecht) sowie Anteile unter der „Harmlosigkeitsgrenze“

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Christoph Pammer

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WeinGesundheitsförderungAlkoholpräventionSuchtpolitikLobbyingWeinwirtschaft

A wine a day keeps the doctor away? Die Wissenslage zur Frage, ob moderater Alkoholkonsum krank macht und Wein gesund erhält.

15.12.2016

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Bei ihrer Arbeit bedient sich die Weinlobby gerne einer gesellschaftlichen Autorität, deren Urteil unangreifbar scheint: der Medizin. Der Wissensstand über die gesundheitlichen Auswirkungen moderaten Alkoholkonsums ist heute besser als zu Beginn der „Wine in moderation“-Kampagne, deren Vorläufer in den frühen 1990ern starteten. Damals hatte man erfolgreich begonnen, das sogenannte „French Paradox“ – in Frankreich gäbe es nicht trotz sondern wegen des hohen Weinkonsums weniger Herzinfarkte – als Gesundheitsargument in Marketing und PR einzusetzen.

Die Fachwelt ist aber gespaltener, als es die Weinlobby gerne hätte. Das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass weiterhin behauptet werden darf, Wein sei nachweislich gesund. Damit einhergehend werden von Lobbyisten in Österreich bis zu 0,4 Liter Wein täglich nicht nur als gesundheitlich unbedenklich, sondern als gesundheitsfördernd beworben. Die Zentrale der Weinwirtschaft in Wien setzt auf ihrer Homepage im Nachsatz noch einen drauf: Vermutlich senke Weinkonsum auch das Risiko, an Krebs zu erkranken - dem würde in aktuell laufenden Studien nachgegangen werden. Kein Wunder, dass sich Epidemiologen auf den Plan gerufen fühlen, solche Aussagen zu hinterfragen.


Gibt es eine „Harmlosigkeitsgrenze“? Und wie steht es um den Weinkonsum?

Tatsächlich hatten in verschiedenen Studien immer wieder moderate Alkoholkonsument/innen niedrigere Herzinfarktrisiken als Abstinente oder Fast-Abstinente vorzuweisen. Allerdings gab es von Beginn an substanzielle Methodenkritik am Zustandekommen  solcher Ergebnisse. Es wurde zurecht vermutet, dass sich unter den Abstinenten auch (größere) Personengruppen befinden, deren Gesundheit bereits angeschlagen ist, und die deswegen keinen Alkohol konsumieren. Die Ergebnisse des Vergleichs mit den moderaten Alkoholkonsumenten würden bei einer solchen Häufung aber verfälscht. Eine zweite Methodenkritik bezog sich auf soziale Faktoren, die auf beide Einflussgrößen einwirken: Moderate Weintrinker gehören einer im Durchschnitt höheren ökonomischen Schicht an als Bier-, Most- oder Schnapstrinker. Verglichen mit besser Gebildeten mit höheren Einkommen, welche eher zum Weinkonsum neigen, resultieren unterschiedliche Herzinfarkt- und andere Gesundheitsrisiken nämlich aus der Fülle an mit der Zugehörigkeit zu dieser sozialen Schicht einhergehenden, relativen sozialen und gesundheitlichen Besserstellungen. Nicht alle Studien gingen in der Planung sorgfältig genug vor, um eine mögliche Verzerrung der Ergebnisse durch eine unterschiedliche Verteilung sozialer Gesundheitsdeterminanten in der Stichprobe kontrollieren zu können.

Nachdem die Internationale Agentur für die Erforschung von Krebs (iarc.fr) der Weltgesundheitsorganisation WHO eine Krebsart nach der anderen auf die Liste jener Erkrankungen nahm, die nachweislich durch Alkoholkonsum verursacht werden, wurden 2011 die Ergebnisse einer hochwertigen Langzeitstudie mit mehr als 360.000 Teilnehmer/innen aus 8 europäischen Ländern veröffentlicht. Die Ergebnisse zeigen, dass Alkoholkonsum nicht nur bei zigtausenden Studienteilnehmer/innen Krebs-Neuerkrankungen verursachte. Sondern auch, dass bereits ein geringer durchschnittlicher Alkoholkonsum das individuelle Risiko, an Krebs (vorwiegend des oberen Verdauungstrakts, Leberzirrhose, Brustkrebs und Darmkrebs) zu erkranken, signifikant erhöht. (Schütze, 2011).

Nur 33.000 von 57.600 Männern, die an alkoholbedingten Krebs-Neuerkrankungen (Leber, Darm, oberer Verdauungstrakt) erkrankten, hatten einen Durchschnittskonsum über der in Österreich gebräuchlichen „Harmlosigkeitsgrenze“ von 24g Alkohol täglich. Bei Frauen waren es 17.400 von 21.500, die über dieser Grenze (bei Frauen: 12g) konsumierten und alkoholbedingt an Krebs erkrankten.


Resümee

Also muss bezüglich der Fragestellung, ob moderater Weinkonsum das Erkrankungsrisiko senkt, viel zurückhaltender agiert werden. Der aus früheren Studien bekannte positive Effekt verschwand fast vollständig, als notwendige Korrekturen vorgenommen wurden: Jene, die aus gesundheitlichen Gründen keinen Alkohol getrunken hatten und daher angaben, abstinent zu sein, dürfen nicht mit moderaten Weintrinkern verglichen werden, denn sie bringen schlechtere Gesundheitsrisiken mit. Selbiges gilt für ehemalige Vieltrinker, die trocken leben. Wenn überhaupt, vertragen ausschließlich gesunde Menschen, die auch früher im Leben nicht zu viel tranken, Alkohol in geringen Mengen. Ein oder zwei Glaserl Rotwein zu trinken ist aber nicht die Ursache für ihre gute Gesundheit, vielmehr ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen generell.

Bereits bei moderatem Alkoholkonsum setzen aber Krebsrisiken ein, die den für Herzkreislauf-Gesundheit errechneten guten Wert auf individueller Ebene leicht in sein Gegenteil verkehren können. Dies gilt in besonderem Maße für Personen aus niedrigen ökonomischen Statusgruppen, denn obwohl diese in etwa gleich viel oder sogar etwas weniger Alkohol konsumieren, sind die Folgeerkrankungen bei problematischem Alkoholkonsum stark erhöht gegenüber ökonomisch Bessergestellten.

 

 

 

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